Modernisierung im Berliner Viertel (Teil 1): Mietergemeinschaft kämpft für 50% Mietminderung
Im Münchner Stadtteil Schwabing kämpfen Dawonia-Mieter gegen unzumutbare Bedingungen während laufender Modernisierungsarbeiten. Mit einer kollektiven Mietminderung konnte jetzt ein erster Erfolg erzielt werden.
Wer im beliebten Münchner Stadtteil Schwabing eine neue Wohnung anmieten möchte, braucht einen dicken Geldbeutel. Weit über 20 Euro pro Quadratmeter, in Spitzenlagen sogar fast 30 Euro pro Quadratmeter, sind es zufolge der gängigen Immobilienportale. Die Preise beziehen sich nur auf die Kaltmiete, wohlgemerkt.
In diesem beliebten Viertel gibt es erfreulicherweise Mieter, die noch deutlich günstiger wohnen. Eine dieser Mieter-Oasen liegt im Berliner Viertel. Seinen Namen hat es wegen der mitten durch die Siedlung verlaufende Berliner Straße. Ansonsten erinnert wenig an Berlin: Das Viertel besteht aus Häuserblöcken, die großzügige, begrünte Innenhöfe umfassen. In der Nähe liegt ein künstlich angelegtes Gewässer, der sogenannte Schwabinger See. Es ist fast ein kleinstädtisch-dörfliches Gepräge, das die Wohnsiedlung bestimmt. Spricht man mit den Bewohnern, ist häufig die Rede von einem „Paradies“, mitten in der Stadt.
Dieses Mieter-Paradies ist in den 1980er-Jahren unter den Grundsätzen des Wohnungsbau-Programms „Münchner Mischung“ entstanden. Ein großer Teil der Siedlung wurde damals als sozialer Wohnungsbau durch die staatliche Wohnungsbaugesellschaft GBW errichtet. 2013 wurde diese durch die Bayerische Landesregierung privatisiert und heißt heute Dawonia.
Zwei Mieterhöhungen hintereinander bedrohen die Mieter
Laut Aussagen der Mieter ließ die Dawonia die Wohnungen im Berliner Viertel seit dieser 10 Jahre immer mehr „verlottern“. Es sei zu Heizungs- und Warmwasserausfällen gekommen, die Siedlung sei heruntergewohnt worden. 2021 endete schließlich für einige Wohnungen die Sozialbindung. Pünktlich zum neuen Jahr lag plötzlich ein Schreiben im Briefkasten: Die Dawonia erhöhte die Miete um die maximal zulässigen 15%. Kurz darauf folgte der nächste Schock. Der Konzern kündigte eine umfassende Modernisierungsmaßnahme an. Die Mieten sollten noch einmal zusätzlich um 2 Euro pro Quadratmeter steigen (die restlichen Modernisierungskosten sollen in 6 Jahren zu einer weiteren Mieterhöhung führen).
Die Mieter waren entsetzt. Viele hatten Angst, sich nach den zwei eng aufeinanderfolgenden Mieterhöhungen ihre Wohnung nicht mehr leisten zu können. Mithilfe der Mieterinitiative „ausspekuliert“ wurde im Hof der Siedlung eine erste Mieterversammlung organisiert. „Das Gefühl war: Wenn wir uns jetzt nicht gemeinsam wehren, werden wir aus unserem Viertel vertrieben. Also haben wir uns versammelt und unsere Mietergemeinschaft gegründet“, erzählt Brigitte Zwenzner, eine der Sprecherinnen der Gemeinschaft und Mitglied der Mietergewerkschaft. Der Druck der Mietergemeinschaft zeigte bald Wirkung. Die Dawonia musste ihre erste Modernisierungsankündigung zunächst zurückziehen; vermutlich wegen des Ensembleschutzes.
Doch die Mieter konnten nur kurz aufatmen. Schon im August 2022 kam eine aktualisierte Modernisierungsankündigung. Im November 2022 wurden die Bauarbeiten aufgenommen. Seitdem wohnen die Bewohner des Berliner Viertels auf einer Großbaustelle. Seit Februar 2023 stehen Baugerüste vor dem Haus, die mit überwiegend blickdichten Planen abgedeckt sind. In den Wohnräumen ist es dadurch dunkler als sonst. Selbst an schönen Sommertagen, berichten einige Mieter, müsse tagsüber in der Wohnung das Licht angemacht werden. Die Türgriffe an den Balkontüren wurden abmontiert, sodass nicht nur Helligkeit, sondern auch frische Luft Mangelware waren. In den Wohnungen fällt das Atmen schwer, weil sich Baustaub von den Fassadenarbeiten in den Räumen ansammelt. „Gäste, die bei mir waren, haben diesen Staub auf ihren Zähnen gespürt. Der Dreck dringt in alle Ecken und Ritzen, auf meinen Bücherregalen liegt eine dicke Schicht, die ich mehrmals in der Woche wegputzen muss“, berichtet Lotte Luther Villinger, ebenfalls Sprecherin und Mietergewerkschafterin.
Nicht förderlich ist auch, dass die von der Dawonia beauftragten Gewerke, Bauabfälle und Materialien in den Treppenhäusern zwischenlagern. Doch auch innerhalb der Wohnungen finden Arbeiten statt. Bei vielen Mietern verwandelten sich die Badezimmer, in denen die Lüftungssysteme ausgetauscht wurden, in Dauerbaustellen. Weil die Arbeiten chaotisch ausgeführt werden und es immer wieder zu Unterbrechungen kommt, müssen viele Mieter seit Monaten mit dem halbfertigen Bauzustand leben. Der Mietergewerkschaft liegen zahlreiche Beschwerden der Mieter gegen diese Zustände vor. Den schwarzen Peter schiebt die Dawonia aber auf die beauftragten Baufirmen. Regelmäßiger Baulärm, Bauarbeiter auf den Gerüsten (auch an Samstagen) und mit Baumaterialien und -fahrzeugen vollgestellte Innenhöfe komplettieren die Liste an Belastungen durch die weiter andauernden Modernisierungsmaßnahmen.
10% Mietminderung für monatelange Belastungen?
Ein Glück, dass das deutsche Mietrecht jedem Mieter ein Mittel bereitstellt, um für die erduldeten Mängel einen Ausgleich zu schaffen – die Mietminderung. Doch wer darin seine Hoffnungen gesetzt hatte, kennt die Dawonia schlecht. Nur 10% Mietminderung will sie den Mietern für die Belastungen im Zusammenhang der Baumaßnahme „kulant“ zugestehen. 10% für Dauerlärm, Staubbelastung, Verdunkelung, Bauarbeiten am Wochenende, abgesperrte Balkone, verschmutzte Treppenhäuser, Arbeiten innerhalb der Wohnungen, vollgestellte Innenhöfe und monatelangem Licht- und Luftmangel. Dafür sind 10% zu wenig und nicht akzeptabel!
Die Mietergemeinschaft Berliner Viertel fordert von der Dawonia stattdessen eine pauschale Mietminderung von 50% seit Beginn der Modernisierungsarbeiten. Über 90 Mieter unterstützen diese Forderung und haben einen offenen Brief an die Dawonia unterzeichnet. Aktivisten der Mietergewerkschaft haben diese Unterschriftensammlung ausgeführt. Mitte Juli wurden die Unterschriftenlisten dann in der Münchner Dawonia-Zentrale übergeben.
Die Dawonia reagierte Ende Juli und lehnte die Forderung der Mietergemeinschaft ab. Dabei zieht sich die Dawonia auf zweifelhafte juristische Argumente zurück. Sie beruft sich auf Ausnahmegesetze, die der Staat im letzten Jahrzehnt zugunsten der Vermieter geschaffen hatte. Laut §536 Abs.1a BGB dürfen Mieter während der ersten drei Monate einer energetischen Modernisierungsmaßnahme nicht die Miete mindern. Dieses Ausnahmerecht, von Schwarz-Gelb eingeführt und durch alle Nachfolgeregierungen unangetastet, gibt der Dawonia genügend Spielraum, um den Mietern einen fairen Ausgleich zu verwehren. Trotzdem bleibt die Argumentation der Dawonia intransparent. Denn die Baumaßnahmen laufen schon seit Ende November 2022. Die Drei-Monats-Grenze wurde damit schon Ende Februar überschritten. Seitdem müsste laut juristischer Expertenmeinung das volle Minderungsrecht greifen. Und vor allem ist ein großer Prozentsatz der Baumaßnahmen Instandhaltung und keine Modernisierung.
Dawonia reagiert: Zuerst mit Mahnschreiben – danach mit Zugeständnissen
Doch die Dawonia geht noch dreister vor: Am 28. Juli – so die Modernisierungsankündigung – sollten die Baumaßnahmen im ersten Bauabschnitt enden. Folglich sollten die Mieter pünktlich zum 29. Juli wieder die volle Miete zahlen. Dumm nur, für Dawonia, dass seit dem 29. Juli viele Arbeiten am und im Haus noch nicht abgeschlossen sind: die Baugerüste stehen immer noch, viele Balkone sind abgesperrt und in den Hausfluren sammelt sich weiterhin der Baudreck. Ende Juli verschickte die Dawonia Mahnschreiben an diejenigen Mieter, welche die Miete für den gesamten Juli weiter um 10% minderten. Dabei handelte es sich um ausstehende Beträge im einstelligen Bereich, die aber mit einer Mahngebühr von 2,50 EUR eingefordert wurden.
„Mit mehr als zweifelhaften Drückermethoden versucht die Dawonia Angst zu verbreiten. Mit Nadelstichen wie diesen sollen die Mieter davon abgehalten werden, ihr Recht geltend zu machen. Dabei sind diese Mahnungen völlig gegenstandslos. Denn das Recht auf Mietminderung muss nicht erst vom Vermieter genehmigt werden. Kein Mieter sollte Mahngebühren für die geminderte Miete zahlen“, so die Einschätzung eines Sprechers vor Ort.
Zeit für eine Gegenoffensive: Mithilfe von Musterschreiben kann jeder Mieter der Dawonia seine Wohnungsmängel melden und eigenständig eine Mietminderung ankündigen. Viele Mieter unterstützen sich gegenseitig beim Ausfüllen und Versenden der Musterbriefe. Aktive führen in der Siedlung regelmäßig Haustürgespräche mit den Mietern. Ziel ist es, die Mehrheit der Mieter für die Mietminderungskampagne zu gewinnen, um den Druck auf den Vermieter zu erhöhen.
„Wir gewinnen im Berliner Viertel weiterhin neue Gewerkschaftsmitglieder. Das skandalöse Vorgehen der Dawonia treibt uns die bereits organisierten und die unorganisierten Mieter regelrecht in die Arme. Vor allem versteht niemand, warum im August die volle Miete abgezogen wurde, obwohl die Bauarbeiten doch weitergehen.“, so der Sprecher der Mietergewerkschaft Maximilian Rathke.
Doch der kollektive Druck führte zu einem ersten Erfolg. Mitte August erklärte die Dawonia plötzlich, dass sie „aus Kulanz“ die Mietminderung in Höhe von 10% verlängern würde. Das Schreiben liegt der Mietergewerkschaft vor. Es ist ein Lehrbeispiel für die zweifelhafte Taktik der Dawonia im Umgang mit ihren Mietern. Im Schreiben wird geschickt suggeriert, dass die Mietminderung ein Geschenk des Unternehmens an die Mieter sei. Besonders manipulativ ist folgende Zeile: „Ein darüber hinaus gehender Mietminderungsanspruch aufgrund der Durchführung der Maßnahmen ist ausgeschlossen.“ Hierzu stellt die Mietergewerkschaft fest: Wenn ein minderungsrelevanter Mangel vorliegt, tritt die Mietminderung gesetzlich ein. Ein Vermieter hat bei Vorliegen eines Mangels prinzipiell kein Recht, dem Mieter vorzuschreiben, ob er die Miete mindern darf oder nicht.
Viele Mieter sind auch im September von Lärm und Schmutz durch die weiterlaufenden Modernisierungsarbeiten betroffen. In einigen Wohnungen des ersten Bauabschnitts werden weiterhin handwerkliche Arbeiten ausgeführt. Aus diesem Grund werden die Mieter in der Siedlung ihre Mietminderungskampagne fortführen und sich untereinander über die Rechtslage aufklären.
Hinweis: Am 04.10. um 19:30 Uhr wird ein erster Mieterstammtisch der Mietergemeinschaft stattfinden.
Ort: Estare, Echinger Str. 1, 80805 München
Hier können sich Mieter zum aktuellen Stand informieren.
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