19. Dezember 2023

„Es ist wichtig, dass man sich wehrt, denn sonst wird man überfahren.“

Maximilian Nussbaumer studiert in München. Als er wegen Mängeln die Miete mindert, will ihn das Studierendenwerk München Oberbayern loswerden. Im Interview erzählt er seine Geschichte.

1. Erzähl uns von deiner Wohnsituation beim Studierendenwerk München Oberbayern. Kannst du die Umstände beschreiben, die zu den Mietrückständen geführt haben? Was waren die spezifischen Mängel in deiner Wohnung? 

Meine Wohnsituation in München nahm noch vor Corona ihren Anfang. Für tausende Studierende, die nicht aus München oder Umgebung kommen, ist es die harte Realität, dass man keinen Wohnplatz findet, nachdem man in München angekommen ist. Heute ist diese Situation noch schlimmer als damals, aber auch mich traf bereits der Wohnungsmangel. Dieser ist in der Landeshauptstadt aufgrund der Leerstandsquote von nur 0,2% seit 2015 unverändert.

Ich bin insgesamt 9x umgezogen, bis ich als Hauptmieter beim Studierendenwerk München Oberbayern einen Wohnplatz bekommen habe in der Nähe der Studentenstadt, auf den ich 2 Jahre lang gewartet hatte. Aber auch zuvor wohnte ich in verschiedenen Wohnungen des Studierendenwerks – als Untermieter jeweils für kurze Zeit. So wohnen viele Studierende, während sie auf einen Wohnplatz warten, denn andere Wohnungen sind wesentlich teurer.

In dieser Zeit machte ich Erfahrungen mit verschiedenen Vermietern und da kam so einiges vor. Aber ich hätte mir nie erträumt, welche Zustände beim Studierendenwerk München Oberbayern gegenwärtig herrschen.

Die Mängel, die mich zur Mietkürzung motiviert haben, sind: Die unverschließbare Hauseingangstüre, horrende Reinigungskosten bei fehlender Leistung sowie ein kalter Heizkörper in meinem Zimmer. Es war aber durchaus ein langer Weg, bis ich die Miete kürzte. Davor muss auch viel Kommunikation falsch gelaufen sein. Schadensmeldungen werden extrem langsam bearbeitet, manchmal auch gar nicht. Es gibt die Wahrscheinlichkeit von etwa 50%, dass ein gemeldeter Schaden innerhalb von 3 Monaten behoben wird.

Es kann auch jederzeit vorkommen, dass ein Angestellter die gemietete Wohnung und sogar das Schlafzimmer betritt. Wenn man ausnahmsweise einen Termin bekommt für einen Besuch, dann lautet dieser: Zwischen 8 und 16 Uhr. Die Chance liegt dann bei 50%, dass überhaupt jemand kommt. Manche wollen das nicht, dass ihr Zimmer in ihrer Abwesenheit betreten wird. Wenn man das dem Vermieter mitteilt, wird es aber einfach ignoriert.

2. Wie hat das Studierendenwerk auf die Beschwerden und die Mietminderung reagiert?

Das Studierendenwerk München Oberbayern wollte mich ab der ersten Mietkürzung loswerden. Um das zu erreichen, hat das Studierendenwerk entschieden, meinen Mietvertrag nicht zu verlängern. Dabei verwies man auf das BGB, woraus das Studierendenwerk ableitete, dass es Mietverträge nach Belieben verlängern könne.

Es ist so, dass in Studentenwohnheimen nach dem BGB nur ein eingeschränkter Mieterschutz gilt, da laut BGH eine Fluktuation durch ein „Rotationskonzept“ mit „abstrakt-generellen Kriterien“ ermöglicht werden soll. Nach diesem Konzept müssen jedoch alle gleich behandelt werden, auch in der Vertragsverlängerung. Der BGH schrieb dazu wörtlich: „§ 549 Abs. 3 BGB dient nicht dazu, dem Vermieter eine im Einzelfall gewollte Vertragsbeendigung mit ihm nicht genehmen Mietern zu ermöglichen.“

Das Studierendenwerk München Oberbayern aktualisiert immer wieder das genannte Konzept zur Verteilung von Wohnraum, jedoch nur in eine Richtung: nach unten im Sinne der Wohnzeit eines Studierenden. Zu meinem Einzug war die Regelung, dass man 6 Semester bleiben darf: Außerordentliche Verlängerungen um ein Jahr sind nur möglich, wenn man sich „ehrenamtlich engagiert“ oder ein Härtefall vorliegt. Ich habe mich in meiner Wohnzeit ein Jahr lang als Tutor engagiert. Nach der damals geltenden Regelung müsste ich also 4 Jahre lang hier wohnen dürfen. Tatsächlich wohne ich aber erst seit 3 Jahren beim Studierendenwerk.

Als das Studierendenwerk München Oberbayern nach nur 2 Jahren Mietdauer erstmals meinen Vertrag nicht verlängerte, lag sogar ein Härtefall vor, da ich im Frühling desselben Jahres eine Operation wegen einer schweren Knieverletzung hatte. Das war dem Studierendenwerk komplett egal.

3. Das war noch im Jahr 2022. Nun geht das Jahr 2023 zu Ende. Was ist in der Zwischenzeit passiert?

Nachdem ich offenbar von einer staatlichen Einrichtung benachteiligt wurde, habe ich mich mit dieser Einrichtung beschäftigt. Ich konnte viele wertvolle Erkenntnisse sammeln und mit anderen Studierenden in München sprechen, die Probleme mit ihrer Wohnsituation hatten bzw. haben. Dabei stellte ich fest, dass viele ehemalige Bewohner der Studentenstadt, die nach einem Brandunglück binnen kurzer Zeit geräumt wurde, ihren Unmut über Ungleichbehandlung und Willkür beim Studierendenwerk zum Ausdruck brachten. Schließlich habe ich beim Bayerischen Landtag eine Petition eingereicht für Transparenz im Studierendenwerk München Oberbayern, welche vor der Einreichung insgesamt 764 Unterschriften erreichte.

Möglicherweise deshalb hat das Studierendenwerk München Oberbayern überraschend beschlossen, meinen Mietvertrag um ein halbes Jahr zu verlängern. Jedoch wurde in der Zwischenzeit keine Lösung gefunden betreffend die Mängel, wegen derer ich die Miete kürzte. Zudem behielt das Studierendenwerk mein überschüssiges Guthaben der Betriebskostenabrechnung aus dem Jahr 2021 ein, weshalb ich die Miete wiederum kürzte. Aus finanzieller Sicht war klar, dass es zu einem Rechtsstreit kommen würde. Das Studierendenwerk entschied sich Anfang 2023 erneut gegen eine Verlängerung meines Mietvertrages.

Ich teilte dem Studierendenwerk mit, dass ich einen rechtlichen Anspruch auf die Verlängerung habe. Das Studierendenwerk München Oberbayern bzw. einige seiner Angestellten teilten mir wiederholt mit, dass kein rechtlicher Anspruch auf die Verlängerung bestehe und ich am 31.03.2023 ausziehen müsse. Der Dialog endete als ich zwei Mitarbeiter des Studierendenwerks als „machtmissbrauchende Studentenhasser“ und das Studierendenwerk selbst als „Katastrophenladen“ bezeichnete, in dem „alltägliche Korruption gelebt wird“. Das Studierendenwerk München Oberbayern reagierte darauf mit einem anwaltlichen Schreiben, welches eine Abmahnung, eine ordentliche Kündigung und eine außerordentliche Kündigung zugleich beinhaltete.

4. Wie hast du auf die Kündigung reagiert? Was waren deine ersten Schritte?

Ich habe eine Räumungsklage abgewartet, die direkt am 01.04.2023 gemeinsam mit einer Zahlungsklage beantragt und wenige Tage später zugestellt wurde.

5. Wie ist das Verfahren abgelaufen? Kam es zu einer Verhandlung?

Bislang gab es 3 Verhandlungstermine, wobei ich an dem zweiten gar nicht teilnehmen konnte, da das Studierendenwerk München Oberbayern bzw. seine Angestellten meinen Namen von der Bewohnerliste strich. Man muss sich das vorstellen: Eine staatliche Einrichtung klagt auf Räumung, nimmt den Namen von der Bewohnerliste am Hauseingang, sodass Postzustellungen nicht möglich sind, und beim Verhandlungstermin beantragt sie dann in zu erwartender Abwesenheit des Beklagten ein Säumnisurteil.

Das Gericht ist diesem Antrag nicht gefolgt, stattdessen beauftragte es das Studierendenwerk herauszufinden, woran die Postzustellung gescheiter ist. Diesem Auftrag antwortete das Studierendenwerk mit den Worten „Es ist nicht ersichtlich, warum eine Zustellung nicht erfolgen konnte“.

Schließlich erhielt ich fünf Briefe auf einmal, inklusive einem baldigen neuen Verhandlungstermin, den ich wahrnehmen konnte. Dabei kam es zu einem Prozessvergleich, nach dem ich relativ günstig aussteige und bis zum Ende des laufenden Semesters bleiben kann.

Jedoch ließ sich inzwischen feststellen, dass das Studierendenwerk eine andere Auffassung über dieses Vergleichsgrundlage hat, da es mir die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2022 vorenthält und es der Ansicht ist, dass es mein Schlafzimmer durch seine Angestellten einfach so betreten werden darf.

6. Wie hast du von der Mietergewerkschaft erfahren und was hat dich dazu bewogen, dich an sie zu wenden?

Ich habe Anfang 2023 beim ersten Treffen des AK Wohnen Maximilian Rathke von der Mietergewerkschaft kennengelernt und mich mit ihm ausgetauscht. Ich konnte feststellen, dass die Mietergewerkschaft eine kompetente Anlaufstelle ist.

7. Kannst du beschreiben, wie die Mietergewerkschaft dir geholfen hat? Gab es spezifische Ratschläge oder Handlungen, die besonders wertvoll waren?

In meinem Fall war die Mietergewerkschaft deshalb hilfreich, weil ich mit einer Stelle die Sache besprechen konnte, die meine Interessen als Mieter teilweise besser kennt als ich selbst. So ein Austausch ist wichtig, damit man seinem Vermieter im Konflikt selbstbewusst begegnen kann. Außerdem ist die Mietergewerkschaft daran interessiert, dass Mieter wieder möglichst heil aus einem Disput mit dem Vermieter hinausgehen. So wurde mir auch eine rechtliche Beratung vermittelt.

Ironischerweise bietet das Studierendenwerk München Oberbayern eine Beratungsstelle für Studierende in Rechtsangelegenheiten an. Diese konnte ich in dem Fall nicht aufsuchen.

8. Gibt es etwas, das du anderen Studenten oder Mietern raten würdest, die in ähnlichen Situationen sind?

Es ist wichtig, dass man sich wehrt, denn sonst wird man überfahren. Viele wollen keinen Konflikt und oftmals ist eine andere Lösung einfacher. In anderen Städten gibt es aber keine Leerstandsquote von nur 0,2 % wie in München. Umziehen ist in München nicht so einfach. Wenn man bedenkt, dass in München weniger Wohnungen leer stehen als Studierende auf der Warteliste beim Studierendenwerk München Oberbayern sind, kann man sich die Konsequenzen ausmalen. Diese Situation der überschießenden Nachfrage von Wohnraum ermöglicht es den Vermietern immer mehr zu verlangen und immer weniger zu leisten. Mieter können dem nur entgegenwirken, indem sie sich vernetzen, informieren und zur Wehr setzen.

Studierende und Mieter sind leider nur dann dasselbe, wenn Studierende nicht in Studentenwohnheimen wohnen. Dort haben sie nämlich weniger Mieterrechte nach dem BGB. Ich empfehle den anderen Studierenden in Deutschland: Informiert euch, um euch aktiv für Mieterschutz in Studentenwohnheimen, oder alternativ ein Studentenheimgesetz auszusprechen.

Studierende in Bayern befinden sich zudem in einer besonderen Situation: Als einziges deutsches Bundesland gibt es dort keine Körperschaft öffentlichen Rechts für Studierende. Das heißt, dass nur dieses Bundesland die Studierenden nicht als Interessensgruppe seiner Gesellschaft anerkennt. Ich empfehle daher den anderen bayrischen Studierenden: Setzt euch für eine Körperschaft öffentlichen Rechts ein. Eine Körperschaft öffentlichen Rechts kann sich effektiver für öffentliche Interessen wie Wohnen einsetzen als private oder formlose Organisationen.

Studierende, die beim Studierendenwerk München Oberbayern wohnen, sollten das SEPA-Lastschriftmandat aufheben und die Miete manuell überweisen. Es ist nicht legitim, dass das Studierendenwerk das SEPA-Lastschriftmandat für den Mietvertrag voraussetzt.

9. Abschließend, was sind deine aktuellen Pläne und die für die Zukunft (z.B. im Hinblick auf Mieteraktivismus)?

Ich werde meine Petition weiterverfolgen und beim Bund die Forderung bzgl. der Überarbeitung von BGB § 549 Abs 3. einreichen. Gerne teile ich meine Erfahrungen auch mit anderen Mietern, damit diese davon profitieren können, wenn sie in eine ähnliche Situation geraten.

Außerdem habe ich vor, mich weiter mit anderen Studierenden in München zu vernetzen, um die Missstände beim Studierendenwerk München Oberbayern transparenter zu machen.